Psychopathologie der Moderne: Felix Kubin live im ZKM

Nur durch Zufall bekam das Hörsturz-Sekretariat in letzter Sekunde Wind von einem Konzert, das am 7. November im ZKM stattfinden würde. Im Rahmen der ARD-Hörspieltage unter Mitwirkung des Wohlfühlsenders SWR hatte man doch tatsächlich den Klangkünstler Felix Kubin eingeladen, der hier mitten unter der Woche um 23 Uhr auftreten sollte. Und was war das für eine stimmige Darbietung, wenn auch natürlich vor einem Künsterpublikum, das läßt sich wohl kaum vermeiden.
Kaum etwas löst so viele Assoziationen aus wie die auf Dissoziation bauende Musik von Felix Kubin. "Faszinierend!" (Spock)
Die topischen Koordinaten im weiten Geflecht der Bezüge sind: ... Psychoanalyse, Traumdeutung, german angst ... Dada ... neurotische und Stummfilmästhetik ... New Wave, Elektronik, Entfremdung ... eine "Ästhetik der Verkrampfung" (F.A. Schneider) ... Roboter, Kunstkörper, Frankenstein ... Konstruktivismus, Maschinismus, Klangfuturismus ... allesamt in den 1920er Jahren zu verorten, ferner in den frühen 1980ern. Kubin reflektiert wie die große Kunst jener zwanziger Jahre die kuriose, tragikomische Stellung des Individuums in einer Moderne, die sich im Verselbständigungsmodus viel rasanter entwickelt, als das menschliche Sensorium zu begreifen vermag. Alles purzelt, und schlingert, und strauchelt, und "tanzen automatisch" (Rheingold). Eine Feier des Bizarren, auch im wohldosierten Einsatz der so seltsam steifen und ungelenken deutschen Sprache.
Da ist es außergewöhnlich wohltuend, daß Kubin sich nicht noch dazu hinreißen läßt, was doch naheliegend – und so überaus klischeehaft wie kommerziell – wäre: das postmoderne, zur putzigen Sinnlosigkeit tendierende Spiel mit Clicks und Cuts, wie es seit den späten Neunzigern en vogue ist. Zum anderen erliegt er nicht der Versuchung, zu faschistischer Ästhetik bzw. der des Totalitarismus der dreißiger Jahre sich vorzuarbeiten, wie es Laibach und Rammstein in so hirnerweichender wie erfolgreicher Weise vorgeführt haben. Nein, das hat der Hamburger mit dem treffsicheren Künstlernamen (Kollege Momus nennt ihn einen "Geck und Geek zu gleichen Teilen") nun wirklich nicht nötig. Überhaupt ist er nie explizit politisch, und das ist hier eine Stärke, seine verschrobene Ästhetik wirkt souverän ohne agitatorische Beigabe. Kubin, das klingt tatsächlich wie eine Wortschöpfung aus Rubin, Berlin und Kubismus, aus Döblin und Murnau, importiert geradewegs aus den zwanziger Jahren – nicht den nun in Kürze anstehenden, sondern jenen des vergangenen Jahrhunderts. Als noch gar nicht klar war, was 1930, 1940 oder 1950 sein würde. Aber auch diese Unsicherheit läßt sich in Kubins Musik direkt hören.