Die Korönung der Selbstgerechtigkeit

C-Virus und F-Skala: der Chinese und die Volksgesundheit
Ein Kommentar der Redaktion Sachzwang FM

War es im letzten oder vorletzten Jahrzehnt, als alljährlich neue Epidemienpaniken durch die Nachrichten geisterten? Rinderwahnsinn! Vogelgrippe! Maul- und Klauenseuche! Sars! BSE! H5N1! Seuchen- und Hygieneparanoia und Schädlingsangst als Vorboten einer mittlerweile kenntlichen Faschisierung der Gesellschaft. Vor den besorgten Bürgern kamen die besorgten Landwirte, Nachhut der Modernisierung, Vorhut der Reaktion. Jeder mußte mit einstimmen in den Chor der Besorgten, immerhin galt es, gefährliche Erreger² aus dem Ausland auszumerzen. Das Gesunde, Heimische darf sich nicht mit dem Kranken, Fremden anstecken! Das ist wie gesagt schon einige Jahre her, die allseitige Penetranz ging aber doch unweigerlich in den Gähnmodus über.
Die nun seit Januar (viel mehr noch als das betreffende Virus) grassierende Berichterstattung über "das Corona-Virus" ermüdet denkende Menschen im selben Maße, wie sie Konformisten triggert. Dabei ist den Medien ja nicht einmal vorzuwerfen, daß sie eine derartige Hysterie entfachen, sind sie doch – marktwirtschaftlich organisiert – den Launen des offenbar nach action & drama, Skandalen, Intrigen und Katastrophen gierenden Massenpublikums ausgesetzt. Krude Gerüchte über ein "Chemiewaffenlabor in unmittelbarer Nähe des Fischmarkts", an dem die ersten Infektionsfälle in Wuhan zu verzeichnen waren, schafften es sogar bis ins Freie Radio. Waffen, Diktatur, gelbe Gefahr ... der immergleiche Assoziationsreigen deutscher Gemüter ist vorhersagbar.

Epidemisch ist vor allem die Berichterstattung über Sicherheitsmaßnahmen in China. Aber es ist doch auffällig: Würden "die Chinesen" irgendwie nachlässig auf die mögliche Ausbreitung der Infektionskrankheit reagieren, bräche sich sofort chauvinistische Besserwisserei Bahn; "die sind ja leichtsinnig", "die können das gar nicht", wüßten die Schlaumeier wie mit Blick auf Afrika. Ergreift man in China hingegen wirksame Maßnahmen zur Prävention, so wird unverzüglich über repressive "staatliche Zwangsmaßnahmen" geunkt, die der böse, totalitäre chinesische Kommunismus an seinen wehrlosen Bürgern vollstreckt.³ Berichtet er auch noch darüber, kann das ja nur "Propaganda" sein.
Es ist dasselbe hermetisch-selbstgefällige Kopfuniversum, das die Volksrepublik China einst jahrzehntelang für "zu wenig Marktwirtschaft" tadelte, und nun, wo das Land letztendlich erfolgreich am Markt reüssiert, einen chinesischen "Manchester-Kapitalismus" rügt. Dasselbe rassistische Kopfuniversum, das Ausländern, wenn sie arbeiten, ankreidet, Deutschen die Arbeitsplätze wegzunehmen, und wenn sie nicht arbeiten, "faule Ausländer" zu sein.

Stimmen der Vernunft wie die des sympathischen Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, sehen keinen Grund zur Panik und mahnen eine Versachlichung der Debatte an. Zwecklos. Jeder kocht sein Süppchen auf der neuartigen Variante von Lungenkrankheit. Der jüngste Hit aus der social-media-Jauchegrube: Man bräuchte "einen Chinesen", der "im Bundestag" mal "kräftig niest", wird da gewitzelt. Aus derartigen Reichs- und Wutbürgerfantasien spricht natürlich nicht nur unverhohlener Rassismus, sondern auch eine rabiate, ganz und gar nicht bürgerliche Demokratieverachtung.
Fasching oder Faschismus? Man darf schon auf einschlägige Büttenreden zum Thema gespannt sein, als despektierlich gilt ja nur das allzu offene Ressentiment, alles andere wird schenkelklopfend goutiert. Mal gucken, wie lange der projektive Wahnsinn noch grassiert.
Vielleicht wird man sich mal wieder an etwas neues gewöhnen müssen. Panzerähnliche Geländelimousinen gelten im Straßenverkehr ja schon lange als ganz normal. Freimütig vor sich hin redende Einzelpassanten, denen man draußen begegnet, auch; früher waren sie schizophren und eine Seltenheit, heute telefonieren sie nur und sind viele. Menschen mit einem Gesichts- oder Mundschutz waren bisher entweder muslimisch verhüllte Frauen oder Angehörige einer Sekte, die den Mikroben das Leben retten will. Vielleicht wird auch diese weitere Selbstabschottung jetzt zum neuen Trend.

 

²) Erreger, die ja fast so schlimm sind wie Gefährder. Aber um die zu bekämpfen, brauchen wir mutige Entscheider.

³) Da läßt man lieber "die größte Demokratie der Welt", das indische Elendsregime samt Kastenwesen, hochleben. Wahrscheinlich braucht echte Demokratie Religion.