Würstchen und Widerstand – Der Würstchenstand als Sinnbild

Die weitgehende Marginalisierung der Linken nach über 30 Jahren neoliberaler Hegemonie läßt ihr bloß noch Raum für Symbolpolitik. „Fantasievolle“ und spektakuläre Aktionen, zu denen stets die Medien geladen werden, sind nicht mehr nur die Spezialität von NGOs und müssen seither darüber hinwegtäuschen, daß man eigentlich keinen nennenswerten direkten Einfluß mehr auf den gesellschaftlichen Prozeß hat.

Sicher ist es löblich und auch sinnvoll, alle die zu unterstützen bzw. durch die eigene Anwesenheit zu bereichern, die sich gegen solche stellen, die selbst noch der „Pegida“-Bewegung zu rechts sind. Konkret sind hier die alldienstäglichen Demonstrationen in Karlsruhe zu nennen, die mittlerweile unter dem Etikett „Widerstand Karlsruhe“ vor sich hin trotten. Die selbstgerechte Einschätzung der Teilnehmer – darunter militante Neonazis von den „Berserkern Pforzheim“ –, sie repräsentierten eine schweigende Mehrheit der Deutschen, ist den Gegendemonstranten Anlaß genug, diese Behauptung quasi widerlegen zu wollen. Was natürlich auch klappt, sieht doch die linksliberale Öffentlichkeit („Keinen rechtsradikalen Schandfleck in unserer schönen Stadt“) ebenso wie die Nachwuchs-Antifa („Keinen Fußbreit den Faschisten“) konkreten Handlungsbedarf, was so manchen zu den Gegenaktivitäten auf die Straße lockt.

Doch hat man sich bei der Mottofindung ein veritables Eigentor geschossen: Um die Gegendemonstranten moralisch und auch kulinarisch zu unterstützen, serviert man Würstchen – per se freilich keine schlechte Idee. Doch die dadaistische Schlagkraft eines Wahlspruchs wie „Würstchenstand statt Widerstand“ droht angesichts der allzu breiten Front gegen „die Nazis“ ins Gegenteil zurückzuschlagen. Wer auch immer die Parole ernst nimmt, gesteht a) den rechten Schlägern und Brandstiftern (die Bundespräsident Gauck regelmäßig als „Strolche“ verharmlost) ihre Selbstvermarktung als „Widerstand“ zu und inszeniert b) sich selbst als volksnah, handele es sich hier auch um erklärtermaßen antifaschistische Würstchen, wahlweise vegan natürlich. Daß man so der (falschen) Etikettierung der Rechtsextremen, „Widerstand“ gegen diese Welt zu leisten, deren Elend sie doch zementieren, zuarbeitet anstatt darzulegen, daß Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse vielmehr dringend not tut – diese Erkenntnis verflüchtigt sich bei derartiger Event-Bespaßung.

Wie sich doch die Zeiten ändern. Schon vor über 100 Jahren – eigentlich aber bis heute – ging insbesondere die dt. Sozialdemokratie, anstatt den Klassenkampf voranzutreiben, dazu über, eher „den Arbeiter“ als solchen bei seinen unmittelbarsten, nämlich kulinarischen Bedürfnissen anzusprechen. Der Bier- und Würstchenstand firmiert seither als Klischee von gutgelaunt-selbstgenügsamen Gewerkschaftern und entpolitisierten Sozialdemokraten. Oft ist schon angemerkt worden (und die heutige sich familienfreundlich gerierende NPD gibt davon bei Ortsfesten, „Volksfesten“, v.a. in Ostdeutschland bis heute Zeugnis), daß doch die NSDAP die erste „Volkspartei“ im eigentlichen Sinne war: keine erkennbare Interessengruppe qua „Klassenlage“ mehr, sondern vielmehr populistisch, volksnah, vereinsmeiernd und korporatistisch, alle Energie und Ressentiments bündelnd gegen alles „fremde“. Und natürlich volksgemeinschaftlich staatstragend bis in mörderische Konsequenz.

 

Sendetermin
Dienstag, 21. Juli 2015 - 19:00 bis 19:01
Wiederholung
Dienstag, 4. August 2015 - 19:00 bis 19:01